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Versorgungsmedizinische Grundsätze

GdB-Tabelle nach der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV)
Schwerbehinderung und Schwerbehindertenausweis



Landessozialgericht Rheinland-Pfalz 4. Senat
25.01.2024
L 4 SB 65/23
Juris


Ein-/Durchschlafstörungen, eine Reduktion der psycho-physischen Belastbarkeit sowie Rezidivängste nach einer Brustkrebserkrankung zumal ohne fortlaufende psychiatrische Betreuung und einer lediglich geringergradig eingeschränkten Wochenarbeitszeit sowie das Vorhandensein von Hobbys und Freizeitaktivitäten spricht gegen einen höheren GdB als 20 gemäß Teil B Nummer 3.7 der versorgungsmedizinischen Grundsätze.

Eine vorhandene Migräne ist im Funktionssystem Kopf und Gesicht entsprechend deren Auswirkungen zu berücksichtigen.


. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB).

Bei der 1961 geborenen Klägerin hatte der Beklagte mit Bescheid vom 16.12.2013 einen GdB von 50 ab 30.07.2013 festgestellt aufgrund der Behinderung „Gewebeneubildung der rechten Brustdrüse in Heilungsbewährung“. Der Beklagte hatte darauf hingewiesen, dass für Juli 2018 eine Nachprüfung vorgesehen sei.

Im November 2019 leitete der Beklagte die angekündigte Nachprüfung ein. In dessen Verlauf wurde ein Befundbericht des Frauenarztes Merz vom 17.02.2020 eingeholt, der mitteilte, dass kein Anhalt für ein Lokalrezidiv bestehe. Es bestehe ein Lymphödem am rechten Arm. Die Klägerin beklage Müdigkeit, Schlaflosigkeit und Konzentrationsstörungen. Sie habe ihre Arbeitszeit auf 30 Stunden pro Woche reduzieren müssen, da mehr nicht machbar sei. Dem Befundbericht waren Arztbriefe des radiologischen Instituts H in K vom 27.08.2018 (Mammadiagnostik beidseits, Sonographie der Mamma; kein Hinweis auf ein Lokalrezidiv) und vom 12.09.2019 (Mammadiagnostik beidseits; unauffällige Nachsorgeuntersuchung) sowie das Ergebnis einer zytologischen Untersuchung des Pathologen Dr. Ak vom 18.11.2019 beigefügt.

Nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme (Dr. D -Sch vom 15.04.2020) hob der Beklagte mit Bescheid vom 28.04.2020 die mit Bescheid vom 16.12.2023 getroffene Feststellung über den GdB mit Wirkung ab Bekanntgabe auf. Es sei eine Änderung in den Verhältnissen eingetreten; eine Feststellung zum GdB sei nicht mehr zu treffen, da dieser unter 20 liege.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Zur Reduktion des Rückfallrisikos finde noch bis 2024 eine antihormonelle Therapie statt. Als Folge der Krebserkrankung leide sie unter einer Belastungsminderung, einer schnellen Ermüdbarkeit und es bestehe die Notwendigkeit von Regenerationsphasen. Weiter bestünden Durchschlafstörungen, Nervosität und Anspannung sowie Taubheitsgefühle, Spannungsgefühle und Schmerzen im operierten Bereich. Zudem leide sie an einem Frozen-Shoulder-Syndrom rechts mit Belastungseinschränkungen des Armes, einem Lymphödem und einer geschwollenen Hand. Schließlich lägen ein klimakterisches Syndrom mit Hitzewallungen, Schweißausbrüchen, Schwindel, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Nervosität, Antriebsarmut und Konzentrationsschwächen sowie dauerhafte Gelenkschmerzen und eine Trübung der Augenlinse rechts vor. Die Klägerin legte eine Bescheinigung der Dipl.-Psych. und Psychoonkologin Ko vom 23.07.2020 vor. Die sich wechselseitig verstärkenden Auswirkungen der von der Klägerin geschilderten Folgestörungen führten zu einer bis heute unverändert anhaltenden erhöhten Belastung und Einschränkung der Leistungsfähigkeit.

Der Beklagte holte Befundberichte des Orthopäden Dr. Sch vom 22.10.2020 (Diagnose: Adhäsive Kapsulitis rechts), der Augenärztin Dr. Ju -Be vom 12.11.2020 (Diagnosen: Cataracta senilis incipiens, Hyperopie, Astigmatismus, Presbyopie; Sehschärfe mit Korrektur rechts 0,4 und links 1,0) und der Internistin und Allgemeinmedizinerin Dr. Schi vom 14.12.2020 (Es bestünden Einschränkungen nach wie vor im rechten Arm/der rechten Flanke mit Kraftverlust und Bewegungseinschränkung, vor allem über Kopf; der Arm sei immer wieder geschwollen, besonders nach Anstrengung, bis in die Hand. Es bestünden fast nächtlich Schlafstörungen, die Klägerin bekomme ihr „Gedankenkarussell“ nicht gestoppt, habe wilde Träume, wache dann auf und könne nicht mehr einschlafen. Weiter bestehe jede Nacht ein Kieferbeißen/-pressen mit Nutzung einer Beißschiene, morgens bestünden dann Kopfschmerzen und Verspannungen im Kiefer-/Hals-/Nackenbereich. Wegen einer Belastungsminderung könne die Klägerin nur noch 30 Stunden pro Woche arbeiten. Das Krebsereignis lasse die Klägerin nicht mehr los, auch wenn sie derzeit gesund sei.) ein. Dr Schi legte als weitere Befunde Arztbriefe des radiologischen Instituts Hohenzollern vom 10.02.2020 und vom 13.03.2020 (jeweils MRT der rechten Schulter) und des Gefäßchirurgen Mo vom 20.07.2020 (Diagnosen: Ausschluss einer Carotisstenose beidseits, Hypercholesterinämie) vor.

Nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme (Dr. Ha vom 11.02.2021) und erneuter Anhörung der Klägerin hob der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.07.2021 den Bescheid vom 28.04.2020 auf und stellte einen GdB von 20 ab 08.05.2020 fest. Im Übrigen wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Der Beklagte ging von folgenden Behinderungen und Einzel-GdB aus:

1. Funktionsstörung des rechten Schultergelenkes, Lymphödem des rechten Armes (20), 2. Teilverlust der rechten Brust (10).

Die Klägerin hat am 30.07.2021 Klage beim Sozialgericht (SG) Koblenz erhoben. Sie hat auf die im Widerspruchsverfahren eingeholten Befundberichte verwiesen. Dr. S berichtete über eine Belastungsminderung, Durchschlafstörungen, Nervosität, Taubheitsgefühl, Spannungsgefühle und Schmerzen im operierten Bereich, Belastungseinschränkungen des Armes, eine geschwollene Hand, Lymphödeme, Gelenkschmerzen und Kopfschmerzen im Kiefer-, Hals und Nackenbereich. Die Klägerin hat einen von ihr geführten Kopfschmerzkalender für die Monate September bis Dezember 2021 vorgelegt. Hieraus sei ersichtlich, dass sie jeden Monat an mehrtägigen Anfällen leide.

Der Beklagte hat an seiner Entscheidung festgehalten und eine gutachtliche Stellungnahme von Dr. La vom 21.02.2022 vorgelegt. Aus dem vorgelegten Kopfschmerzkalender ergäben sich einmal pro Monat einseitige Kopfschmerzen mit Schmerzstärke fünf bis acht, für drei bis fünf Tage andauernd; die Behandlung erfolge mit Ibuprofen 400 dreimal täglich eine Tablette; weitere Maßnahmen seien nicht notwendig gewesen. Für eine solche echte Migräne leichter Verlaufsform sei ein GdB von 0 bis 10 vorgesehen. Sie schlage vor, als weitere Behinderung aufzunehmen:

3. Kopfschmerzen (10).

Die Klägerin hat mitgeteilt, dass sie auf die Einnahme stärkerer Medikamente wegen der Nebenwirkungen verzichte.

Das SG hat ein unfallchirurgisch-orthopädisches Gutachten von Dr. Vi vom 18.07.2022 sowie ein nervenärztliches Zusatzgutachten von Dr. Bö vom 08.09.2022 eingeholt.

Dr. Bö hat die Diagnosen Anpassungsstörung, nicht-organische Insomnie und unkomplizierte Migräne mit visueller Aura gestellt. Die Anpassungsstörung sei entsprechend einer leichteren seelischen Erkrankung ohne höhergradige oder wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Für die Migräne in unkomplizierter, leichter Ausprägung ergebe sich ein Einzel-GdB von 10. Der neurologische Befund wird als unauffällig beschrieben. Im psychischen Befund wird ausgeführt, dass von 2013 bis 2018 eine psycho-onkologische Betreuung erfolgt sei und seitdem keine weitere psychiatrische Betreuung mehr erfolge. Ein höhergradiger Leidensdruck in Bezug auf eine weiterführende Psychotherapie bestehe offensichtlich nicht. Insgesamt bestünden eine mäßig ausgeprägte Anpassungsstörung mit chronischer Insomnie, keine hirnorganische Symptomatik und keine höhergradige Depression.

Dr. Vi hat die Diagnosen Funktionsstörung der rechten Schulter im Sinne eines Impingement mit eingeschränkter Vor- und Seithebung und Funktionsstörung der Finger mit Sensibilitätsstörungen ohne Bewegungseinschränkung gestellt. In der Funktionsdiagnostik zeige sich eine eingeschränkte Vorhebung des rechten Armes von 120 Grad und eine Seithebung von 150 Grad. Im MRT-Befund vom 13.03.2020 werde die Rotatorenmanschette als intakt bezeichnet; es finde sich aber eine Kapsulitis , ein geringer Gelenkerguss und eine subakromiale Enge im Sinne eines Impingements . An den Händen fänden sich keine wesentlichen Einschränkungen bis auf eine diskrete Beugehemmung im Daumengrundgelenk links. Die Klägerin gebe Taubheitsgefühle im Thorax und in den Armen als Folge der Mammakarzinom-Operation an. Es bestehe ein Lymphödem nach Entfernung von Lymphknoten; eine Umfangsdifferenz habe bei der Untersuchung nicht festgestellt werden können. Für die Funktionsstörung der rechten Schulter ergebe sich ein Einzel-GdB von 10 und für die Funktionsstörung der Hände und Finger bei Lymphödem ein Einzel-GdB von 20. Unter Berücksichtigung der von Dr. Bö vorgeschlagenen Einzel-GdB auf nervenärztlichem Fachgebiet ergebe sich ein Gesamt-GdB von 20.

Der Beklagte hat eine weitere gutachtliche Stellungnahme von Dr. La vom 07.11.2022 vorgelegt. Der von Dr. Vi vorgeschlagene Gesamt-GdB von 20 stimme mit der zuletzt vorgenommenen Bewertung überein. Bei der Anpassungsstörung handele es sich um eine psychische Reaktion auf eine einmalige oder fortbestehende psychosoziale Belastung. Grundsätzlich könne die Diagnose einer Anpassungsstörung nach den ICD-10-Forschungskriterien nur bis zu einer Dauer von sechs Monaten gestellt werden. Bei der Klägerin bestehe die psychische Beeinträchtigung schon deutlich länger. Sie schlage deshalb vor, die Diagnose leichtere seelische Erkrankung zu verwenden. Da Dr. Bö angebe, dass es sich um eine leichtere Erkrankung ohne höhergradige oder wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit handele, sei aus sozialmedizinischer Sicht ein Einzel-GdB von 10 zutreffend. Sie schlage vor, den Gesamt-GdB bei 20 zu belassen und folgende Behinderungen festzustellen:

1. Funktionsstörung des rechten Schultergelenkes, Funktionsstörung der Hände und der Finger bei Lymphödem (20). 2. Teilverlust der rechten Brust (10). 3. Psychische Störung (10). 4. Kopfschmerzen, Migräne (10).

Die Klägerin hat erklärt, der von Dr. Bö vergebene Einzel-GdB von 20 sei zu niedrig. Sie sei aufgrund einer familiären Belastung dauerhaft einer hohen psychischen Belastung ausgesetzt. Bereits 2014 sei bei ihr eine Untersuchung zum Ausschluss einer Genmutation durchgeführt worden. Im Jahr 2021 sei ihre Cousine väterlicherseits an Brustkrebs erkrankt und sei aufgrund ihrer familiären Vorgeschichte einer Gentestung unterzogen worden. Da ihre Mutter und die Schwester ihres Vaters an Eierstockkrebs erkrankt seien, sei ihr selbst eine prophylaktische Entfernung der Eierstöcke empfohlen worden; diese Operation sei im Frühjahr 2022 durchgeführt worden. Wegen der Wechselbeziehungen zwischen den bei ihr bestehenden Erkrankungen sei der Gesamt-GdB mit mindestens 30 zu bewerten. Die psychischen Einschränkungen würden durch die orthopädischen Einschränkungen und die daraus resultierenden Schmerzen verstärkt. Die Klägerin hat ein Schreiben des Zentrums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs der Uniklinik K vom 11.06.2021 vorgelegt.

Der Beklagte hat erklärt, dass sich aus Prognosen oder einer familiären Betroffenheit keine geänderte Feststellung zum GdB ergeben könne.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 26.04.2023 abgewiesen. Die zulässige Klage habe in der Sache keinen Erfolg, denn die angefochtenen Bescheide des Beklagten seien im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagte habe den mit Bescheid vom 16.12.2013 festgestellten GdB von 50 zu Recht auf 20 herabgesetzt. Rechtsgrundlage für die vom Beklagten erlassenen Bescheide sei § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buches – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X). Danach sei ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Wesentlich im Sinne dieser Vorschrift sei eine Änderung dann, wenn sich dadurch der GdB um mindestens 10 ändere. Vorliegend sei in den tatsächlichen Verhältnissen der Klägerin, wie sie bei Erlass des Bescheides vom 16.12.2013 vorgelegen hätten, eine derartige wesentliche Änderung eingetreten. Zu dem für die Entscheidung über die reine Anfechtungsklage maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2021 bedingten die bei der Klägerin zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Erkrankungen nur noch einen Gesamt-GdB von 20. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2021 hätten bei der Klägerin ein Teilverlust der rechten Brust, Funktionseinschränkungen der oberen Extremitäten, eine psychische Erkrankung, eine Migräne und eine Sehbeeinträchtigung vorgelegen. Da zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2021 mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft bestanden hätten, sei zur Bildung des Gesamt-GdB ohne Bindung an die vom Beklagten bewerteten Einzel-GdB für jede Beeinträchtigung ein Einzel-GdB zu ermitteln und alsdann aus diesen Werten der Gesamt-GdB zu bilden. Lägen nämlich mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so sei der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen (§ 152 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (SGB IX)), wobei für die Entscheidung § 152 Abs. 1 SGB IX gelte (§ 152 Abs. 3 Satz 2 SGB IX). Gemäß § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX würden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung (Versorgungsmedizin-Verordnung) gälten entsprechend (vgl. § 153 Abs. 2 i.V.m. § 241 Abs. 5 SGB IX). Die Grundsätze für die Feststellung des GdB seien in der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung festgelegt, den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen" (VmG).

Der Zustand nach Gewebeneubildung der rechten Brust mit Teilentfernung der rechten Brust habe zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2021 lediglich noch einen Einzel-GdB von 10 bedingt. Insoweit sei gegenüber den Verhältnissen, wie sie dem Erlass des Bescheides vom 16.12.2013 zugrunde gelegen hätten, eine wesentliche Änderung eingetreten. Bei der Klägerin sei im Juli 2013 eine Gewebeneubildung der rechten Brust im Tumorstadium pT2, pN0, V0, R0, G2 brusterhaltend operativ entfernt worden. Nach den diesbezüglichen Vorgaben der VmG sei nach Entfernung eines solchen Tumors eine Heilungsbewährung abzuwarten. Der GdB betrage nach Entfernung eines malignen Brustdrüsentumors bei Entfernung im Stadium (T1 bis T2) pN0 M0 in den ersten fünf Jahren einer Heilungsbewährung 50. Die Heilungsbewährungszeit sei bei der Klägerin rezidivfrei abgelaufen, wie sich aus dem Bericht des Frauenarztes Me vom 17.02.2020 ergebe. Daher sei nach den Vorgaben der VmG nach rezidiv- und metastasenfreiem Ablauf der Heilungsbewährungszeit für den GdB allein noch der reine Organschaden maßgebend. Wie dargelegt, sei die Entfernung der Gewebeneubildung bei der Klägerin brusterhaltend erfolgt. Die VmG sähen für eine Segment- oder Quadrantenresektion der Brust eine Bewertung mit einem GdB von 0 bis 20 vor. Vorliegend sei nach Auffassung der Kammer, der Einschätzung des Beklagten folgend, hinsichtlich der Einwände weder vorgetragen noch sonst ersichtlich seien, eine Bewertung mit dem insoweit vorgesehenen mittleren GdB von 10 angemessen und ausreichend. Die Funktionseinschränkungen im Bereich der oberen Extremitäten bedingten einen Einzel-GdB von 20. Insoweit schließe sich die Kammer den Auffassungen von Dr. Vi und des Beklagten an. Die Klägerin leide im Bereich der oberen Extremitäten zunächst unter einer Funktionseinschränkung der Schultergelenke. Bei der Untersuchung durch Dr. Vi sei ihr die Armhebung rechts seitwärts bis 150 Grad und vorwärts bis 120 Grad, links seitwärts bis 160 Grad und vorwärts bis 170 Grad gelungen. Dr. Vi habe eine Kapsulitis und einen geringen Gelenkerguss sowie eine subachromiale Enge im Sinne eines Impingements diagnostiziert. Sie sei nach Auffassung der Kammer zutreffend davon ausgegangen, dass die Bewegungsmaße allein noch keine Bewertung mit einem GdB von 20 rechtfertigten. Dies stehe mit den Bewertungskriterien der VmG im Einklang. Diese sähen für Schulterfunktionseinschränkungen eine Bewertung mit einem GdB von 10 erst dann vor, wenn die Armhebung auf 120 Grad limitiert sei, was bei der Klägerin lediglich hinsichtlich der Vorwärtshebung des rechten Armes der Fall sei; eine Bewertung mit einem GdB von 20 sei erst vorgesehen, wenn die Armhebung auf 90 Grad beschränkt sei. Der von Dr. Vi und vom Beklagten hinsichtlich der Funktionseinschränkung der rechten oberen Extremität in Ansatz gebrachte GdB von 20 sei deshalb auch nach Auffassung der Kammer nur unter Berücksichtigung des Lymphödems – wobei am Tag der Untersuchung durch Dr. Vi keine Umfangsvermehrung zu verzeichnen gewesen sei – und der von der Klägerin angegebenen Sensibilitätsstörungen im Bereich der Hände und Finger gerechtfertigt, wobei letztere nach den Darlegungen von Dr. Vi nicht mit wesentlichen Funktionseinschränkungen einhergingen, so dass eine höhere Bewertung der Funktionsbeeinträchtigung im Bereich der rechten oberen Extremität als mit dem von Dr. Vi und vom Beklagten in Ansatz gebrachten GdB von 20 keinesfalls in Betracht komme.

Die psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin seien mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Insoweit gebe die Kammer der Einschätzung von Dr. Bö , der die Klägerin selbst untersucht habe und sich deshalb ein besseres Bild vom Ausmaß der psychischen Beeinträchtigungen habe machen können als Dr. La nach Aktenlage, den Vorzug gegenüber der GdB-Bewertung durch Dr. La mit einem GdB von lediglich 10. Wie Dr. Bö dargelegt habe, leide die Klägerin unter Ein-/Durchschlafstörungen, einer Reduktion der psycho-physischen Belastbarkeit und Rezidivängsten bezüglich der Brustkrebserkrankung. Die psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin seien indessen nach den Darlegungen von Dr. Bö lediglich mäßig ausgeprägt. Eine höhergradige Depression habe Dr. Bö nicht gefunden, überdies finde seit 2018 keine psychiatrische Betreuung der Klägerin mehr statt. Deshalb folge die Kammer der Einschätzung von Dr. Bö , wonach lediglich eine leichtere psychische Störung vorliege, und schließe sich angesichts der von Dr. Bö beschriebenen Auswirkungen der psychischen Beeinträchtigung dessen Einschätzung an, es sei die Ausschöpfung des GdB-Rahmens von 0 bis 20 angemessen, wobei dieser nach Auffassung der Kammer angesichts des Umstandes, dass eine höhergradige Depression nicht zu verzeichnen gewesen sei, und der Fähigkeit der Klägerin, ihrer Tätigkeit als Marketingassistentin bei einem Verbandmittelvertrieb im Umfang von 35 Stunden pro Woche nachzugehen, nicht voll ausgefüllt sei.

Die bei der Klägerin bestehende Migräne bedinge einen Einzel-GdB von 10. Auch insoweit folge die Kammer der Einschätzung von Dr. Bö . Dieser habe eine ein- bis zweimal monatlich auftretende unkomplizierte Migräne diagnostiziert, eine Migräneprophylaxe sei nicht erforderlich. Es handele sich damit, wie Dr. Bö dargelegt habe, um eine unkomplizierte Migräne, die nach den Kriterien der VmG nicht mit einem höheren GdB als 10 bewertet werden könne.

Schließlich bestehe bei der Klägerin eine Sehbeeinträchtigung, die nach Auffassung des Gerichts mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sei. Dr. Ju -Be habe in ihrem Befundbericht vom 12.11.2020 eine Sehschärfe mit Korrektur rechts von 0,4 und links von 1,0 beschrieben. Für eine derartige Sehminderung sähen die VmG eine Bewertung mit einem GdB von 5 vor, der, da der GdB in Zehnerwerten anzugeben ist, auf 10 aufzurunden sei (vgl. Teil A, Nr. 2 lit. e VmG).

Aus den nach alledem zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vorliegenden Einzel-GdB-Werten von 10 (Teilverlust der rechten Brust), 20 (Funktionseinschränkungen der oberen Extremitäten), 20 (Psychische Beeinträchtigungen), 10 (Migräne) und 10 (Sehbeeinträchtigung) könne vorliegend zur Überzeugung der Kammer kein höherer als der vom Beklagten und von Dr. Vi in Ansatz gebrachte Gesamt-GdB von 20 gebildet werden. Lägen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so sei der GdB – wie dargelegt – nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Eine Addition der Einzel-GdB-Werte finde grundsätzlich nicht statt. Vielmehr sei bei der Beurteilung des Gesamt-GdB in der Regel von der Beeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedinge, und dann im Hinblick auf alle weiteren Beeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer werde, ob also wegen der weiteren Beeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen seien, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Dabei führten, von Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingten, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestünden. Auch bei leichten Beeinträchtigungen mit einem GdB von 20 sei es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung zu schließen (Teil A, Nr. 3 VmG). Unter Zugrundelegung dieser Kriterien komme auch nach Auffassung der Kammer vorliegend die Bildung eines höheren Gesamt-GdB als 20 noch nicht in Betracht. Denn die beiden 20er-Werte hinsichtlich der Funktionseinschränkungen der oberen Extremitäten einerseits und der psychischen Beeinträchtigungen andererseits seien, wie dargelegt, noch nicht voll ausgefüllt, und daneben bestünden lediglich leichte, einen GdB von jeweils nur 10 bedingende Beeinträchtigungen, die nicht zu einer wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führten und daher eine GdB-Erhöhung nicht rechtfertigten. Auch sei der Zustand der Klägerin nach Auffassung der Kammer noch nicht mit demjenigen eines behinderten Menschen vergleichbar, der unter einer psychischen Beeinträchtigung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit leide oder bei dem eine Versteifung eines Schultergelenkes bestehe; erst für derartig ausgeprägte Beeinträchtigungen sähen die VmG eine Bewertung mit einem GdB von wenigstens 30 vor. Erst recht sei der Zustand der Klägerin nicht mit demjenigen eines behinderten Menschen vergleichbar, der etwa unter einer schweren psychischen Erkrankung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten leide oder bei dem ein Zustand nach Armamputation im Unterarm vorliege; erst derart schwer ausgeprägte Beeinträchtigungen rechtfertigten eine Bewertung mit einem GdB von 50, wie er bei der Klägerin bisher festgestellt gewesen sei. Nach alledem sei vorliegend auch zur Überzeugung des Gerichts ein Gesamt-GdB von 20 ausreichend und angemessen. Die mit dem Widerspruchsbescheid vom 08.07.2021 vorgenommene Herabsetzung des GdB auf 20 sei demnach nicht zu beanstanden.

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 15.06.2023 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20.06.2023 Berufung eingelegt. Sie verweist auf ihren bisherigen Vortrag. Auch nach Ablauf der Heilungsbewährung habe sich nicht eine so wesentliche Änderung der Verhältnisse ergeben, die eine Herabsetzung des GdB auf 20 rechtfertige. Es seien folgende Diagnosen zu berücksichtigen: Teilverlust der rechten Brust nach Mammakarzinom, psychische Beeinträchtigung, Erschöpfungssyndrom, multiple Gelenkschmerzen, Funktionsstörung der rechten Schulter, Lymphödem des rechten Armes, klimakterisches Syndrom, Verlust der Eierstöcke, rezidivierende Kopfschmerzen. Die Folgen der Brustkrebserkrankung seien nicht ausreichend gewürdigt worden. Insbesondere in Bezug auf das Funktionssystem „Nervensystem und Psyche“ sei von einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit auszugehen und insoweit ein Einzel-GdB von 40 zu vergeben. Den Gutachten von Dr. Vi und Dr. Bö trete sie entgegen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 26.04.2023 und den Bescheid des Beklagten vom 28.04.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.07.2021 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Eine höhere Bewertung der Gesundheitsstörungen lasse sich nicht rechtfertigen; die nach Ablauf der Heilungsbewährung noch zu berücksichtigenden Gesundheitsstörungen bedingten nur noch einen GdB von 20. Das SG sei zutreffend davon ausgegangen, dass der Einzel-GdB von 20 für die psychische Störung nicht voll ausgefüllt sei. Eine psychiatrische Betreuung finde seit 2018 nicht mehr statt. Die Klägerin sei in der Lage, weiterhin einer anspruchsvollen Tätigkeit als Marketingassistentin in einem Verbandmittelvertrieb im Umfang von 35 Wochenstunden nachzugehen. Der von der Klägerin begehrte Einzel-GdB von 30 oder 40 für die psychische Störung lasse sich nicht ableiten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Dieser war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II. Der Senat entscheidet nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss, weil er einstimmig die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Koblenz vom 26.04.2023 für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher hierzu gehört worden; deren Zustimmung ist nicht erforderlich.

Die nach §§ 143 ff. SGG zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Bescheid des Beklagten vom 28.04.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.07.2021 rechtmäßig ist und somit die vom Beklagten festgestellte Herabsetzung des GdB von 50 auf 20 rechtmäßig erfolgte. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen in den erstinstanzlichen Entscheidungsgründen Bezug, denen sich der Senat nach eigener Überzeugung anschließt. Randnummer35 Das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren rechtfertigt keine andere Bewertung. Insbesondere ergibt sich keine höhere Bewertung des Funktionssystems „Nervensystem und Psyche“, zumal Dr. Bö das Bestehen einer höhergradigen oder wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit ausdrücklich und überzeugend ausgeschlossen hat. Gegen eine solche Annahme sprechen nicht zuletzt der von Dr. Bö beschriebene Tagesablauf, die berufliche Tätigkeit der Klägerin mit lediglich gering eingeschränkter Wochenarbeitszeit und das Vorhandensein von Hobbies und Aktivitäten. Die von der Klägerin angeführte Entfernung der Eierstöcke ist vorliegend nicht als Behinderung zu berücksichtigen, da sie erst im Frühjahr 2022 erfolgte und damit erst nach dem vorliegend maßgeblichen Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage, nämlich dem Erlass des Widerspruchsbescheids vom 08.07.2021.

Der Senat folgt den vom SG gebildeten Einzel-GdB von 20 (Funktionssystem Nervensystem und Psyche, Teil B, Nr. 3.7 VmG), 20 (Funktionssystem Schäden der oberen Gliedmaßen, Teil B, Nr. 18.13 VmG), 10 (Funktionssystem Weibliche Geschlechtsorgane: Teilverlust der rechten Brust, Teil B, Nr. 14.1 VmG), 10 (Funktionssystem Kopf und Gesicht: Migräne, Teil B, Nr. 2.3 VmG) und 10 (Funktionssystem Sehorgan, Teil B, Nr. 4.3 VmG) und dem vom SG nach den Vorgaben in Teil A, Nr. 3 VmG gebildeten Gesamt-GdB von 20. Nach Ablauf der Heilungsbewährung ist auch bei gleichbleibenden Symptomen eine Neubewertung des GdB zulässig, weil der Ablauf der Heilungsbewährung eine wesentliche Änderung der Verhältnisse darstellt (Teil A, Nr. 7 lit. b VmG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, da Revisionszulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.

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